Serienmörder

Henry Lee Lucas


Bis heute ist nicht bekannt, wie viele Morde Henry Lee Lucas tatsächlich auf dem Gewissen hat. Die Vermutungen reichen von einem Dutzend bis zu etwa hundert Morden, die er zwischen 1957 und 1983 begangen haben soll.

Henry Lee Lucas wurde 1932 in Virginia geboren. Unter seinen Eltern - einer Prostituierten und einem körperbehinderten Alkoholiker - erlebte der spätere Serienmörder eine schwere Kindheit voller Demütigungen und Schmerzen. Lucas Mutter machte es sich zur Gewohnheit, ihre Kunden zuhause zu empfangen und vor den Augen ihrer Kinder und ihres Mannes zu befriedigen. Mit dem Tod des Vaters 1940 begannen die Misshandlungen: Viola Lucas schickte den Jungen in Mädchenkleidung zur Schule, wo er von den Mitschülern gehänselt wurde. Ein Halbbruder, der aus einer Liaison mit einem Freier hervorgegangen war, stieß ihm ein Messer in sein linkes Auge. Nach seiner Genesung wurde Lucas von einem Lehrer auf den Kopf geschlagen, woraufhin das Auge entfernt werden musste.

Lucas war ein Teenager, als er sich zu einem Kriminellen wandelte. Zunächst begnügte er sich damit, Tiere zu töten. Im Alter von 15 Jahren beging er seinen ersten Mord an einem jungen Mädchen, der für lange Zeit unentdeckt bleiben sollte. Von da an widmete sich Lucas einer Serie von Verbrechen, vorwiegend Diebstähle und Vergewaltigungen, die ihn für wenige Jahre ins Gefängnis brachte. 1959 wurde er auf Bewährung entlassen - und tötete seine Mutter. Es ist unklar, ob dieser Mord bloß die Rache für seine früheren Misshandlungen war, oder ob auch sexuelle Beweggründe dabei eine Rolle spielten. Lucas wurde erneut gefasst und zu vierzig Jahren Gefängnis verurteilt. Aufgrund mehrerer Selbstmordversuche verbrachte er einige Jahre im Iona State Hospital, bis er Ende der Sechziger wieder ins Gefängnis überführt wurde. Dort begann Lucas sich in jeder freien Minute in der Bibliothek mit Recherche über Polizeiarbeit zu befassen - eine Beschäftigung, die ihm bei seinen späteren Vergehen eine große Hilfe sein würde.

1970 wurde Lucas trotz eigenen Einwandes auf Bewährung entlassen. Laut seiner Aussage beging er noch am Tag seiner Entlassung gleich in der Nähe des Gefängnisses seinen nächsten Mord, um den Behörden ihren Fehler aufzuzeigen. Wie viele Morde er in den folgenden sechs Jahren beging ist ungewiss - Lucas selber sprach davon, mindestens mehrere Dutzend Kinder und Frauen entführt, vergewaltigt, gefoltert, ermordet und nekrophil geschändet zu haben.

1976 trat durch eine Zufallsbegegnung Ottis Toole in Henry Lee Lucas Leben, ein kannibalistisch veranlagter Mörder. Gegenseitig stachelten sie sich zu immer grausameren Verbrechen an. Zwischendurch arbeiteten beide als Handwerker.
In dieser Zeit schloss sich die etwa zehnjährige Nichte von Ottis, Frieda Becky Poewell, Becky genannt, dem Duo an und wurde in den folgenden Jahren zu Henrys Geliebten. Inwieweit Becky an den Greueltaten der beiden Mörder beteiligt war, ist unklar.
1981 wurde das Mädchen gefasst, floh jedoch kurz darauf mit Lucas und Ottis Tooles Hilfe aus der Jungenstrafanstalt.
1982 trennte sich Ottis Toole von dem Paar. Zwischen Lucas und Becky kam es zu immer heftigeren Auseinandersetzungen, die darin gipfelten, dass er das Mädchen erwürgte. Lucas entkam den Behörden und wurde erst zwei Jahre später wegen unerlaubten Waffenbesitzes verhaftet. Mit seiner Festnahme öffnete sich ein neues Kapitel dieser Geschichte:

Lucas, wie auch der inzwischen ebenfalls gefasste Ottis Toole, gestanden Hunderte von Morden, von denen ihnen jedoch nur die wenigsten nachgewiesen werden konnten. Der Fall Henry Lee Lucas und Ottis Toole nahm in den USA bisher ungekannte Ausmaße an. Gemeinsam zeichneten sie sich für etwa sechshundert Morde verantwortlich - darunter vermutlich zahlreiche Taten, die von anderen Killern begangen wurden, die jedoch nach diesen Geständnissen nicht mehr belangt wurden.
Henry Lee Lucas bewies Geschick: Seine Geständnisse brachten ihm Reisen durch die gesamten Vereinigten Staaten ein, bei denen er die Tatorte besichtigen musste. Es ist anzunehmen, dass er sich vor allem aufgrund dieser Privilegien für Morde verantwortlich machte, die er nie begangen hatte.
1985 widerrief Lucas plötzlich und behauptete fortan nur drei Menschen getötet zu haben - wie viele es tatsächlich waren, wird vermutlich nie geklärt werden. Letztendlich wurde Lucas nur für etwa zwölf Morde zur Verantwortung gezogen und für einen davon in Texas zum Tode verurteilt. Da jedoch ausgerechnet bei diesem Mord begründetete Zweifel an seiner Täterschaft bestanden, wurde Lucas ironischerweise der Erste zum Tode Verurteilte, den George W. Bush während seiner Amtszeit als Gouverneur von Texas begnadigte. Die Strafe wurde in eine mehrfache lebenslange Haft umgewandelt.
Im Jahr 2001 verstarb Henry Lee Lucas aufgrund einer Krankheit im Gefängnis.